Schreiben, Lesen, Rechnen

 

              Während seit einiger Zeit weltweit darüber diskutiert wird, ob das Schreibenlernen überhaupt noch zeitgemäß bzw. notwendig sei, hat man genau das mehrere tausend Jahre gemacht: das Schreiben gelehrt! Nur sah die Schrift und das Schreiben natürlich ganz anders aus, als wir das heute kennen. So haben die Ägypter z.B. vor 3000 Jahren Hieroglyphen in Stein gehauen. Bei den Römern kannte man schon Wachstafeln und auch bei uns haben die Menschen noch bis vor 300 Jahren auf Wachstafeln geschrieben bzw. Schreiben gelernt: mit der Spitze eines 10 cm langen Dorns in Wachs geritzt und wenn man das Geschriebene wieder weghaben wollte, hat man mit der anderen Seite, da war der Dorn platt geschlagen, die Wachsfläche wieder geglättet. Nachdem man das einige Male so gemacht hatte, war die Fläche aber so uneben, dass die Tafel nur noch in die Sonne gelegt werden konnte. Das Wachs schmolz dort und nach dem Trocknen war die Wachstafel wieder so glatt wie vorher und man konnte weiter schreiben. 

 

Wachstafel (Dyptichon) mit Messingstift (Stylus) und dahinter eine Schiefertafel, daran befestigt der Tafellappen, daneben ein Tafelschoner mit der lateinischen Schrift

Dann entdeckte man vor ca. 300 Jahren, dass sich eine Schiefertafel sehr gut zum Schreiben eignet. Die wurde aus einem Schiefersteinbruch gehauen. Der Vorteil war, dass die Schieferplatten von Natur aus schon sehr dünn waren. Nun musste die Tafel nur glatt geschliffen und auf Maß geschnitten werden. Dann noch, wenn man wollte, Linien drauf zum Schreiben oder Kästchen zum Rechnen, oder man ließ eine Seite ganz frei, auf der man z.B. zeichnen konnte.

Zum Schluss kam noch ein Holzrahmen um die Tafel, was zwei Gründe hatte. Zum einen schützte das Holz vor den scharfen Steinkanten und zum anderen konnte die dünne Tafel nicht so schnell zerbrechen. Wenn sie dann aber doch mal herunterfiel, hatte man vielleicht Glück und sie blieb ganz. Mit ein wenig Pech hatte sie nur einen Riss und man konnte sie fast problemlos weiter benutzen. Mit ganz viel Pech zersplitterte sie aber trotzdem und dann musste man nach Hause gehen und beichten, was passiert war, denn man brauchte ja eine neue Tafel. Zuerst gab es aber wegen der Unachtsamkeit erst mal was hinter die „Löffel“.

Wer es sich leisten konnte, investierte noch in einen Tafelschoner. Die gab es in den verschiedensten Ausführungen; mit Märchen- oder Tierbildern, aber auch mit so praktischen Abbildungen, wie die des 1x1.

    

Tafeln, Klapptafeln und Tafelschoner, die es mit den unterschiedlichsten Motiven gab. Oft mit Märchen- und Tierbildern, aber auch mit dem 1x1, dem Alphabet, oder einem Stundenplan

Schieferplatten werden übrigens auch gerne zur Dachabdeckung genutzt. Und es gibt ganze Ortschaften, z.B. Freudenberg, wo auch die Fassaden ganz vieler Häuser und die Dächer mit Schieferplatten bedeckt sind. 

           Dazu passt übrigens eine Geschichte, die mir von einem älteren Besucher erzählt wurde. In dem Ort, in dem der Mann gewohnt hat, ist auch die Kirche im 2. Weltkrieg zerstört worden und auch die gesamte Schieferabdeckung des Kirchendaches lag in den Trümmern. Da hat der Vater meines Besuchers eine Schieferschindel aufgehoben und sie meinem Besucher in die Hand gedrückt. Damals war der natürlich noch ein kleiner Junge und konnte von da an wieder Schreiben üben.

Auf einer Schiefertafel schrieb man sinnvollerweise mit einem Schiefergriffel. Der war mit einer Banderole ummantelt, damit man den Griffel gut anfassen konnte. Wenn nötig, konnte der Griffel auch angespitzt werden. Dazu brauchte man einen speziellen Griffelspitzer.

     

Griffelspitzer

Wenn ihr genau hinschaut, habe ich (zufällig) als Unterlage für den Griffelspitzet das Strafbuch genommen, das jeder Lehrer führen musste

Zum Schreiben mussten die Griffel allerdings nicht unbedingt angespitzt werden. Aber wie bei den Tafeln musste man bei den Schiefergriffeln höllisch aufpassen, dass sie nicht runterfielen; denn dann zerbrachen sie in viele Teile. 

 

Ich vergleiche das Schreiben mit dem Griffel gerne mit dem Kinderspiel, bei dem Kinder mit einem Kieselstein auf den Bürgersteig malen. (Hümpelkästchen zum Beispiel) Dabei kommt auch so ein blassgrauer Strich raus. Und das ist auch bei der Schiefertafel der Fall. Der Strich, vor allem auch, wenn man nicht allzu fest drückte, war nur ein weißlich grauer Strich, bei dem man manchmal Mühe hatte, zu erkennen, was da eigentlich geschrieben wurde.

Aber es gab ein Lösung, denn bald schon erfand jemand einen weißen Kreidegriffel. Wenn man den benutzte, hatte man einen weißen Strich, mit dem man viel besser lesen konnte, was geschrieben wurde. Aber wie bei so vielen Dingen im Leben gab es da auch schon wieder einen Nachteil. Diesen Kreide-Strich konnte man nicht so einfach von der Tafel entfernen, wie den Strich von einem Schiefergriffel. Den konnte man einfach mit einem trockenen Tafellappen wegwischen. Für den Strich mit einem Kreidegriffel geschrieben, brauchte man einen nassen Schwamm. Und der war entweder wie der Tafellappen an der Tafel befestigt, oder man hatte eine kleine Metalldose im Tornister, mit der man den kleinen Schwamm transportierte. Leicht angefeuchtet, eignete sich der Schwamm auch prima dafür, das mit einem Kreidegriffel Geschriebene wieder wegzuwischen.

 

Der Schreibunterricht:

Kaum saß man in seiner Bank, nahm man die Schiefertafel aus seinen Tornister und legte sie unter den Schultisch; den Griffelkasten stellte man vor sich auf die Schulbank, den Tornister hing man rechts oder links neben sich an den Schultisch. 

Im Laufe des Unterrichts hieß es dann: So, nun wollen wir mal wieder das Schreiben üben. Der Lehrer rief die Zahl „1“ und alle Kinder fassten unter den Tisch und nahmen die Tafel in die Hand. Bei „2“ hielten alle Kinder die Tafel so hoch wie möglich über dem Kopf und bei „3“ wurden die Tafeln vorsichtig auf den Schultisch gelegt. In einem 35 Grad Winkel. Dann nahmen die Kinder einen Griffel aus dem Griffelkasten, hielten die Tafel mit der linken Hand fest und schrieben mit der rechten Hand die Buchstaben, Wörter oder Sätze, die der Lehrer diktierte. Um ungefähr den 75 Grad Winkel der Schrift zu erreichen, mussten die Kinder den Griffel nur noch gerade auf und ab führen.

 

Die richtige Handführung des Griffels

Ich habe gerade betont, dass die Kinder den Griffel in die rechte Hand nahmen. Und genau nur das war erlaubt. Auch Linkshänder mussten mit der „rechten“ Hand schreiben. "Linkshändern" war bei Strafe verboten, die linke Hand zu benutzen. Wenn sie das taten, wurden sie wegen groben Ungehorsam bestraft. Und wer es weiter versuchte, dem wurde dann irgendwann ein Ledergeschirr umgelegt, mit dem der linke Arm am Körper fixiert wurde und sie gezwungen waren, mit der „schönen“ Hand zu schreiben.

        In dieser Zeit hatten es die Linkshänder sehr schwer, weil man das für eine Gehirnschaden hielt, den es auszumerzen galt. Das Linkshänder einfach nur im Gehirn umgepolt sind, kannte man damals nicht oder erkannte es nicht an.

Übrigens können alle Rechtshänder jetzt einmal ausprobieren, wie schwer es ist mit der linken Hand zu schreiben. Der weiß dann, was es für Qualen bedeutete, einem derartigen Zwang ausgesetzt zu sein.

        Wenn ihr jetzt, die ihr diesen Text zuhause oder in der Schule lest und zufällig eine Schiefertafel zur Hand habt, dann könnt ihr einmal versuchen, so wie ein Schulkind im Jahr 1900 zu schreiben. Das ist nämlich nicht ganz so leicht, wie ihr euch das vielleicht vorstellt, denn die Kinder mussten freihändig schreiben. Sie durften den Handballen nicht auf die Tafel legen, weil sie sonst durch den Schweiß an den Händen, fettig geworden wäre. Und dann konnte man nicht mehr lesen, was man schreiben sollte. Die Kinder mussten die Tafel, um sie wieder benutzen zu können, erst wieder reinigen bzw. entfetten.

Versucht einmal den Buchstaben  l   eine ganze Reihe lang kurrent zu schreiben 

(Kurrent = in einem Zug, ohne abzusetzen). Schreibt dabei exakt auf der Grundlinie, das ist die zweite Linie von unten und achtet darauf, dass ihr nicht über die oberste Linie schreibt. 

Wenn ihr das geschafft habt, könnt ihr jetzt darunter versuchen, euren Namen in der Schrift zu schreiben, die die Kinder um 1900 erlernen mussten: das war die  Deutsche Schrift. Ab 1921 hat sich dann die vereinfachte Deutsche Schrift, die Sütterlinschrift, durchgesetzt, die aber 21 Jahre später wieder abgeschafft wurde.

 

Schulwandkarte Deutsche Schrift

Zur Deutschen Schrift gibt es übrigens noch ein kaum beachtetes Detail, auf das ich zum Schluss noch hinweisen möchte: ich habe mich irgendwann gefragt, was denn die Striche, Punkte und Linien über den Buchstaben zu bedeuten haben. Die Punkte kennt jeder. Die stehen über dem „i“ oder dem „j“. Die geschwungene Linie ist da heute schon weniger üblich. Damals half sie das „u“ vom „n“ bzw. „m“ zu unterscheiden. Doch da waren noch die Striche über dem „a“, „o“ und „u“. Wenn ich heute diese Buchstaben schreibe, dann sind das wie hier in der gedruckten Version in der Regel Punkte. Aber warum waren das in der Deutschen Schrift Striche? 
Auf die Lösung bin ich eher zufällig gekommen, als ich in der schönen Stadt Lübeck im Niederegger (Marzipan) - Cafe saß und ich auf ein schönes, altes Plakat Lübecks schaute, das vor mir an der Wand hing. Und da war das „ü“ in „Lübeck“ als „ue“ geschrieben. Aber nicht hintereinander, sondern das „e“ war schräg in das „u“ hinein geschrieben worden.  Und da fielen mir die Striche in der Deutschen Schrift ein und die Schreibweise des „e“. Das waren nämlich exakt zwei Striche nebeneinander. Gut, für die Striche über den Selbstlauten hatte man einfach den Auf- und Abstrich beim „e“ weggelassen und schon hatte man das „ä“, „ö“ und „ü“!


Das Lesen

Bei dem Thema muss man sich vielleicht zuerst einmal die Frage nach der Henne und dem Ei stellen. Was muss zuerst dasein? Ich muss lesen können, um etwas zu schreiben. Aber wenn ich nichts geschrieben habe, kann ich es auch nicht lesen.
Lesen und Schreiben gehören unmittelbar zusammen. Und um Lesen lernen zu können, bekamen die Kinder in der ersten Klasse ihre Fibel. Übrigens das meist genannte Buch, wenn man sich an sein erstes Buch erinnern soll.

 

Bevor es mit der Fibel so richtig losging, hat der Lehrer mit den Kindern gemeinsam alle möglichen Sprüche geübt. Das waren Lebensweisheiten genauso wie Regeln für den Schulunterricht. Und so konnten sich die Kinder erste Buchstaben, Worte und Sätze merken.

Beliebte Sprüche waren:

"Mit Gott fang an, mit Gott hör auf! Das ist der schönste Lebenslauf."

"Die kleinen Sprüche merke fein; ein jeder ist ein Edelstein."

"Gute Sprüche, weise Lehren muss man üben, nicht bloß hören"

"Bin ich gleich noch jung und klein, fleißig kann ich doch schon sein:"

"Sich regen bringt Segen"

"Morgenstund hat Gold im Mund"

"Eile mit Weile"

"Fahre fort, fleißig und folgsam zu sein"

"Frisch gewaschen, frisch gekämmt. Ohren, Hals, Gesicht und Händ'.

Und ein saub'res Taschentuch, das gehört zum Schulbesuch"