Der Unterricht

 

Sobald sich die Klassenzimmertür öffnete, sprangen alle Schülerinnen und Schüler auf, stellten sich rechts bzw. links neben ihren Platz, warteten bis die Lehrerin oder der Lehrer sagte: „Guten Morgen Kinder“ und dann kam es wie aus der Pistole geschossen: „Guten Morgen, Frl. Lehrerin“ oder "Guten Morgen, Herr Lehrer“. 

 

Schulklasse anno 1900

Das gleich galt, wenn ein Gast hereinkam, der Schulleiter oder der Schulrat sowieso. Dann sprangen alle wie beschrieben auf. Und wenn der Lehrer sagte: „Setzen!“, dann setzten sich alle auf ihren Platz und so saßen sie von morgens 8 Uhr bis um 12 Uhr. Pause hatten sie in dieser Zeit nicht, höchstens mal eine Pinkelpause. Die große Pause begann um 12 Uhr und endete um 14 Uhr. 

 

MITMACHMÖGLICHKEIT: hier kann man gut das sich setzen und aufstehen und sich neben die Bank stellen üben: Kerzengerade, Füße zusammen, Hände an die Hosennaht, Kopf geradeaus - wie die Soldaten.

 

In dieser Zeit gingen sie nach Hause, aßen zu Mittag, erledigten noch diverse Arbeiten im Haushalt und gingen zurück in die Schule und blieben dort - bis 16.00 Uhr. 

 

Stundenplan einer Bochumer Volksschule von 1907

 

Anschließend wurden sie für 2 bis 3 Stunden zum Arbeiten abgeholt. Danach gab es Abendbrot und dann ging es ab ins Bett, weil morgens um 5 mussten sie wieder raus, da dann schon jede Menge an Hausarbeit auf sie wartete, die noch vor der Schule erledigt werden musste. Vieh füttern zum Beispiel und auch das Futter für die Tiere besorgen und die Ställe sauber halten.

Alle Familienmitglieder vom frühesten Alter an, auch die jüngsten im Rahmen ihrer Möglichkeiten, mussten mit zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, weil der Vater, obwohl er 10 - 12 Stunden am Tag schuftete, nicht genug Lohn bekam, um seine Familie zu ernähren. 

       Und weil sie damit so bettelarm waren, waren die meisten Familien sogenannte Selbstversorger. D.h. sie hatten einen großen Garten mit Obst und Gemüse, Ställe für Hühner, Kaninchen und Ziegen. Mehrere Nachbarn zusammen hielten sich auch gerne ein Schwein, das geschlachtet wurde, wenn es etwa 2 Zentner schwer war. Die Jungen z.B. mussten Holz hacken, Strohballen holen, Unkraut im Garten jäten, um nur einiges zu nennen. Zusätzlich erledigten sie Botengänge und Transportarbeiten, wie Stangeneis holen. 

       Die Mädchen halfen der Mutter im Haushalt; denn auch da gab es jede Menge zu tun, was uns heute Elektrogeräte abnehmen. Die gab es aber noch nicht:

     Keine Waschmaschine oder Trockner, keinen Kühlschrank, keine Spül- und Kaffeemaschine, keinen Mixer, keinen Elektroherd und keine Mikrowelle, in die wir z.B. heute unser Fertiggericht „zubereiten“ und 5 Minuten später ist das Mittagessen fertig. Undenkbar!!!

      Wer 1900 eine Suppe zum Mittagessen auf den Tisch stellen wollte, musste um 8.00 Uhr mit den Vorbereitungen beginnen. Für eine Rindsbouillon z.B., für die ich ein Rezept in einem Kochbuch einer Lehrerin fand, kaufte man beim Metzger einen ganzen "Rindskopf". In dem Kochbuch war dann weiter ausgeführt, dass man zuerst den Rindskopf zerschlagen und 4 Stunden auskochen sollte. Mit dem passenden Gemüse hatte man dann mittags sicherlich eine leckere Suppe. Aber die Vorstellung mit den Rindskopf ist einfach gruselig. 

       (Ich konnte den Kindern allerdings auch nicht ersparen, und auch jetzt nicht meinen geneigten Lesern, dass die Suppe heute auch nicht anders gemacht wird. Nicht mehr zuhause, aber in der Fabrik und am Ende haben wir die Zutaten für eine fertige Suppe in der Maggitüte. Rein ins kochende Wasser, 5 Minuten rühren, fertig ist die Rindsbouillon)

 

Geheizt wurde mit Kohle oder Holz und fürs Licht hatte man Gas- oder Petroleumlampen oder Kerzen.

Für die Kinder in meinen Führungen war es ein regelrechter Schock, wenn ich ihnen wahrheitsgemäß berichten musste, dass es weder Radios, Fernsehgeräte, Playstations oder Handys gab. Kein Tablet oder Computer. Aber klar, für all den Spaß hatten die Kinder auch gar keine Zeit, weil sie ja von morgens bis abends anderweitig beschäftigt waren - nämlich mit Arbeit!

      Aber was hatten die Kinder: Spielzeug, na klar! Aber im Gegensatz zu den heutigen Kindern, die in ihrem Kinderzimmer das Spielzeug bis zur Decke gelagert haben (und doch nicht wissen, was sie spielen sollen) passte das, was Kinder um 1900 hatten, in einen kleinen Schuhkarton und natürlich hatten sie kein Kinderzimmer.

 

Kommen wir nochmal auf die nicht vorhandenen Elektrogeräte zurück. Die gab es im Jahr 1900 nicht - weil all diese Geräte schließlich nur mit Strom funktionierten und Strom hatte man zwar schon in den Fabriken, aber in den einfachen Mietwohnungen und Häusern noch lange nicht.

         Manche Ortschaften z.B. im Münsterland wurden erst in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts an das Stromnetz angeschlossen. Viele habe sich auch mit Händen und Füssen gegen den Fortschritt gewehrt. Für diese Menschen war Strom einfach Teufelszeug; denn wenn man unvorsichtig war und an die Kabel kam, bekam man einen Stromschlag. Das tat weh und man konnte sogar daran sterben. Damals waren erstens die Isolierungen noch nicht so gut und die Kabel lagen auch fast immer auf den Wänden.

 

Und was wir uns heute so gar nicht vorstellen können: es gab noch kein fließendes Wasser! D.h. kein fließendes Wasser aus der Leitung. Darüber haben wir bereits beim Thema „Reinlichkeit“, gleich am Anfang, geredet. Aber wo kam denn das Wasser dann her?

       Die Kinder hatten dazu tolle Ideen: aus dem See, aus dem Fluss, aus dem Meer? Richtig ist, dass das Wasser aus einem Brunnen geholt werden musste und die gab es an mehreren Stellen in der Stadt. Und auch das war der Job der Kinder. Die mussten morgens vor der Schule erst einmal das Wasser holen, um sich waschen zu können. Natürlich musste man auch das Wasser für alles andere heranschleppen: Kochen, putzen, Pflanzen gießen usw. In manchen Freilichtmuseen kann man sehen, das es in einigen Bauernhäusern einen Bottich mit einer Wasserpumpe direkt hinter der Außenmauer gab. Das sieht dann so aus, als wenn man das Haus um die Wasserpumpe herum gebaut hat.

       Das in der Schule benötigte Wasser holten die Kinder selbstverständlich auch. Fürs Wasser gab es dieses Gestell neben dem Lehrerpult. Da konnte sich der Lehrer zwischendurch die Hände waschen oder den Tafelschwamm nass machen.

 

Das Waschgestell besteht aus drei Teilen: die Schüssel, in die das Wasser geschüttet wird; darunter eine kleine Schale für die Seife und darunter die Emaillekanne, mit der das Wasser geholt wurde. An einem Haken an der oberen Schüssel wird das Handtuch befestigt


So verlief ein Schultag nach dem anderen. Von montags bis, ja ihr lest richtig, bis samstags. Da allerdings nur bis 12.00 Uhr, was aber nicht von besonderen Vorteil war, denn dadurch mussten die Kinder schon früher anfangen zu arbeiten. Und sonntags etwa, war auch nicht Schluss mit den Verpflichtungen. Da nämlich mussten die Kinder in die Kirche - die Hl. Messe besuchen. Und wehe, sie waren nicht in der Kirche oder passten einmal nicht richtig auf, was sich während der Messe tat, oder was in der Predigt gesagt wurde. Da war am Montag die Verlegenheit groß, wenn der Pastor, der in der Regel auch der Leiter der Schule war, in seinem Religionsunterricht fragte, was er am Sonntag in der Predigt gesagt hatte. Und wer da nicht sofort eine gute Antwort parat hatte, lernte die sehr unangenehme Seite des Pastor kennen. Denn so ein gottesgläubiger Kirchenmann konnte auch ziemlich gut hinlangen.

      Um das auch festzuhalten: die Schulen gehörten bis auf ganz wenige Freischulen zu den Kirchen. Den katholischen und den evangelischen Kirchen. In Bochum gab es um 1900 zusätzlich noch eine jüdische Schule. Auch das war noch bis Anfang der 1970er Jahre so. Katholische und evangelische Kinder gingen getrennt in die Schule. Oftmals lagen die Schulen, auch aus organisatorischen Gründen, dicht nebeneinander; hatten einen gemeinsamen Schulhof.

      Aber der war entweder durch eine Mauer oder manchmal auch nur durch einen weißen Strich getrennt. Und wehe, da wechselten Kinder die Seiten - dann gab es richtige Kloppe. Und dann: die Schule war aus und alle Kinder gingen nach Hause - gemeinsam. Denn schließlich wohnten sie ja auch zusammen, Tür an Tür und prügelten sich dort auch nicht wegen ihrer Religionszugehörigkeit.

      Der Religionsunterricht bestimmte einen großen Teil des wöchentlichen Stundenplans. Was nicht verwunderlich ist, waren doch die meisten Schulen Kirchschulen. Dazu kam, das zwei- bis dreimal pro Woche der Unterricht mit einem Schulgottesdienst begann. Da gingen die Kinder zunächst morgens in die Kirche und dann nebenan in die Schule.