Kommen wir nun zur eigentlichen Führung: Auch vor über einhundert Jahren gingen Kinder in die Schule. Klar, würdest Du sagen, weil wir es uns heute nicht anders vorstellen können. Tatsächlich war es aber so, dass Kinder erst seit 1919 in die Schule gehen mussten. Vorher konnten sie in die Schule, wobei die meisten Kinder in keine Schule gingen, weil Schule Geld kostete und Geld hatten die meisten Menschen nicht genug, um ihre Kinder in die Schule zu schicken. Die meisten Kinder mussten arbeiten, um so zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. Wenn sie Glück hatten, durften sie im Winter, etwa von November bis Februar, in die Schule gehen. Dann war aber wieder Arbeit auf dem Feld und auf dem Hof angesagt. Damals wollten die Kinder in die Schule gehen - durften es aber nicht. Heute dürfen die Kinder zur Schule, wollen aber nicht. So verrückt sind die Zeiten.

 

 

5000 Jahre Schulgeschichte

Dabei stellt sich hier zunächst die Frage, seit wann es Schule überhaupt gibt? Meine Besucher im Museum hatten da die unterschiedlichsten Zahlen im Kopf:

        seit dem Jahr 1800, seit 1500, seit dem Mittelalter?!?

Ich selbst habe eine ganze Zeit die römischen Herrschaftsjahre vor über 2000 Jahren genannt, wobei auch in der ägyptischen Herrschaftszeit Schule bekannt war, also noch etwa 2000 Jahre früher. Aber vor einigen Jahren gab es in Herne, im dortigen LWL-Museum eine sehenswerte Ausstellung über die erste uns bekannte Großstadt, die im damaligen Persien lag: Uruk! 

Da wohnten vor ca. 5000 Jahren etwas 350.000 Menschen und dort kannte man schon Schule. Man kann also sagen, das es immer dort Schulen gab, wo die Eltern nicht mehr alleine für die Ausbildung der Kinder sorgen konnten.

Doch bleiben wir bei den Römern vor 2000 Jahren. Wir können im heutigen Römischen Museum in Xanten sehen, dass es auch da schon Schulen in der Mitte Deutschlands gab. Aber da gingen natürlich auch nur Kinder von begüterten Eltern hin.

Für meine Führungen habe ich mir immer wieder vorgenommen, mir den Namen des römischen Legionslagers Vetera, verliehen durch den Römischen Kaiser Marcus Ulpius Traianus, zu merken. Es ist mir nicht wirklich gelungen: jetzt kann ich ihn aber für euch hier verewigen. Vetera wurde zur Colonia und hieß fortan Colonia Ulpia Traiana. Nach einer vollständigen Zerstörung im Jahr 275 wurde sie um 310 n.Chr, unter dem Namen Tricensimae wieder aufgebaut.

Der Name Xanten entwickelte sich ab 752. Zuerst ad Sanctos (bei den Heiligen). Daraus wurde Xanctum, später Xantum und dann schließlich Xanten, das am 15. Juli 1228 die Stadtrechte verliehen bekam. (siehe bei Wikipedia: Xanten)

 

Wachstafeln

Das Schreiben lernten die römischen Kinder auf Wachstafeln, die auch bei uns in der Gegend bis vor 300 Jahren noch im Einsatz waren: Zwei kleine Holzbretter mit schmalen Leisten an den Rändern und mit Lederbändern klappbar zusammen gebunden. Auf die Platte mit den Leisten wurde flüssiges Wach randvoll hinein geschüttet und wenn das Wachs trocken war, konnten die Kinder mithilfe eines spitzen Metallstiftes schreiben. Auf der andern Seite war der Metallstift flach, damit konnten die Kinder das, was sie geschrieben hatten, zuspachteln. Irgendwann waren aber die Flächen so uneben, das nur noch Verflüssigen des Wachses half - indem man die Tafel in die Sonne hielt. Wenn das Wachs anschließend wieder trocken war, konnten die Kinder weiter schreiben.

 

Als dann das römische Reich zerbrach, haben wir all das, was die Römer den Germanen voraus hatten: u.a. Fußbodenheizung, Waschhäuser, Glas an den Fenstern, mehrstöckige Häuser, Schulen usw. .... vergessen. Im Ruhrgebiet gab es erst wieder Schulen als Klosterschulen, später Kirch- und Lateinschulen, wieder nur für die Kinder der reichen Familien - alle anderen sollten keine Bildung erhalten, weil man sie so besser beeinflussen konnte. Und so war das viele Jahrhunderte, woran auch die kath. Kirche einen massgeblichen Anteil hatte. Erst als in der beginnenden Industrialisierung Menschen gebraucht wurden, die auch lesen, rechnen und schreiben können mussten, da nahm die Schulentwicklung langsam Fahrt auf. Vor allem die Deutschen Könige und Kaiser mussten eher dazu gedrängt werden, eine Schulpflicht für die Kinder einzuführen. 

 

König Friedrich Wilhelm IV hat verbürgt geäußert: „Schule? Was wollen die denn in der Schule? (er meinte die Bauern- und Handwerkerkinder) Wollen die danach alle Sekretär in der Stadt werden? Die sollen auf dem Land bleiben und da ihre Arbeit machen.“ Doch es gab gerade in der Gegend um Berlin und Potsdam einige rührige Pädagogen, die besonders auch die Schule für Bauern- und Handwerkerkinder forderten. 

Im Reckahner Schulmuseum ist die Geschichte des Gutsherrn von Rochow dokumentiert, dessen erste Landschule für Bauernkinder als Vorläufer der Volksschulen gilt. Seine Landschule, gebaut 1773, wurde zum Mekka vieler Pädagogen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum und es fanden erstmalig regelmäßig Lehrerseminare statt.

        Unter wachsenden Druck gab auch die königliche Administration langsam die ablehnende Haltung auf und ließ Schulen bauen. Aber noch lange nicht flächendeckend und auch nicht staatlich gefördert. Die allgemeine Schulpflicht gab es erst nach dem Ersten Weltkrieg, nach der Abdankung Kaiser Wilhelms II.

Ich habe die Geschichte von Friedrich Eberhard von Rochow immer gerne erzählt, weil wir in Bochum einen direkten Bezug zu dieser ersten Landschule in Reckahn hatten. 

   

Graf von der Recke

In Bochum und Umgebung ist Graf von der Recke ein bekannter Mann, weil es diverse Hinweise auf sein Schaffen gibt. Eine Straße ist nach ihm benannt, ebenso ein Grundschule und es gibt ein Denkmal im Stadtteil Hamme, wo er gelebt hat. Dort hat er sich zum einen um kriegswaise Kinder gekümmert und zum anderen auf seinem "Gut Overdyck in Hamme bei Bochum" eine Freischule eingerichtet, um dort mit seinen fortschrittlichen Ideen die verkrustete Kirchschullandschaft aufzubrechen, in der allzuoft ohne erkennbares Konzept unterrichtet wurde.

         Dieser Graf von der Recke war ein Neffe von Friedrich Eberhard von Rochow aus Reckahn und er hielt sich in seiner Kindheit und Jugendzeit oft in Reckahn auf und hat die Entwicklung der dortigen Landschule hautnah miterlebt, dort sogar zeitweise als Lehrer gearbeitet.